Hier sorgten tropische Regenstürme und Hochwasser für einen Ausfall der meisten vorbereiteten Landausflüge – die Stimmung der Urlaubsgäste verschlechterte sich entsprechend. Es folgten 5 Seetage  in glühender Hitze bei der Querung des arabischen Meeres und trotz allem Bemühen und ergriffener Sonderaktivitäten  zur Unterhaltung der Gäste gelang es nur partiell die Stimmung an Bord grundlegend zu verbessern. Bald war es klar, dass der nächste Hafen die Entscheidung hinsichtlich einer Stimmungswende bringen würde: Beruhigung der Situation oder „Explosion“! Aber… der nächste Hafen war Hodeidah im Jemen, der Mitte der 80er-Jahre sehr selten angelaufen wurde, vielleicht waren wir sogar das erste Kreuzfahrtschiff, das dort überhaupt festmachte. Von dort war ein mehrtägiger Ausflug in die 2200 Meter hoch gelegene Hauptstadt Sanaa und weitere Ausflüge ins jemenitische Hochland geplant- alles ein wenig abenteuerlich und… sehr teuer! Die Vorbereitung mit dem lokalen Agenten war schwierig und lediglich via Telex möglich, der lokale Agent selbst war niemandem persönlich bekannt - wir waren also – Prinzip Hoffnung - darauf angewiesen, dass dieser einen professionellen Job macht! So warteten wir im Hafen von Hodeidah auf dessen Ankunft. Und dann kam er…arabisches, rot-weisses Kopftuch, das einem Turban ähnlich um den Kopf  gewickelt war, ein weißer Kittel einem Nachthemd ähnlich, darüber ein schlecht sitzendes, altes Sakko, ausgelatschte Sandalen an schmutzigen Füßen, um den Bauch ein breiter Ledergürtel, in dem ein großer Krummdolch steckte.

 

Im ersten Moment eine fast erschreckend-fremde Erscheinung, die den Chefreiseleiter zu dem Kommentar „Ist ja noch schlimmer als befürchtet“ veranlasste. Wir nahmen in englischer Sprache ersten Kontakt auf… und seine Reaktion war mehr als verblüffend : „Griass enk,i bin der Mahmoud, mit mir kennts scho deitsch redn!“. Auf unsere Frage wo er seine Sprachkenntnisse erworben hätte, erklärte er uns :“ I hob z’Passau studiert und danoch zwoa Jahrlan z’ Partahkurch glebb und in der Poscht garwat“. Dieser Kommunikationsvorteil versprach Vieles leichter zu machen. Und dann die Ausflugsbusse - in touristisch nicht erschlossenen Ländern oft einer der besonders kritischen Punkte bei Ausflügen in diesen exotischen Destinationen - aber  nicht so bei Mahmoud: alles moderne, neue Busse mit Klimaanlage! Alle Führer sprachen deutsch oder englisch. Etwas befremdlich wirkten nur die Fahrer der Busse die alle eine dicke  Backe hatten und das Kraut Quat, eine Volksdroge, kauten. Ich besetzte mit Mahmoud und dem Chefreiseleiter quasi als Vorhut den ersten Kleinbus und wir fuhren auf guten, von Chinesen gebauten  Straßen durch wunderschöne Landschaften ins jemenitische Hochland. In den späten Nachmittagsstunden erreichten wir das tief in die Berge eingeschnittene, in einem Trockental liegende Tal  Whadi Dhar. Was es dort zu bestaunen gab war schlichtweg atemberaubend! Auf einem etwa 50 Meter hohen, freistehendem Felsen ein aus braunem Sandstein gebauter Palast mit Gipsverzierungen, die wie Zuckerguss aussahen. Auch Mahmoud war “…do leckst mi am Osch“ stolz begeistert. Faszinierend die Begegnungen mit der einheimischen Bevölkerung, die Männer mit dicken Quat-Backen,  die Frauen  mit schwarzer Vollverschleierung. Wenn sie sich näherten zogen sie einen weiteren schwarzen Schleier über  das Gesicht und trotzdem sah man ihre staunenden  Augen im Angesicht der Fremden geradezu durchglühen. Wir fühlten uns irgendwie als wären wir Aliens. Am nächsten Morgen drängte Mahmoud zu einem frühen Aufbruch zur Besichtigung der faszinierenden Hauptstadt Sanaa;  wer die orientalischen Gerüche, oder besser Düfte, auf dem dortigen Markt einmal gerochen hat wird diese nie vergessen. Während die Reisebusse mit völlig begeisterten Gästen  zum Schiff in Hodeidah zurückehrten, hatte unser neuer Freund Mahmoud noch „ebbas Bsunders“ mit unserer kleinen Gruppe vor und brachte uns in das über 2000 Meter hoch gelegenes Bergdorf Menacha. 

 

Am Ortsrand wies uns Mahmoud an zu warten was passieren würde. Kurz darauf versammelten sich am Ortseingang etwa 30 bewaffnete Männer. Dann knatterten warnend erste Maschinengewehrsalven in die Luft  und Mahmoud meinte : “Lass mas guad sei und schleichma ins liaber!“ Als wir auf dem Weg zurück zu unserem Bus waren, fuhr plötzlich ein Schulbus vor, aus dem neugierige Kinder herausquollen. Alle hielten uns ihre Schulhefte hin um zu sehen ob und wie wir schreiben. Als man aus unserem freundlichen Umgang mit den  Kindern unsere guten Absichten erkannt hatte,  löste sich ein alter Mann aus der Männergruppe am Dorfrand, über der  Schulter ein uraltes Gewehr und bat uns freundlich ins Dorf. Dort wurden wir herzlich mit einer Tasse Qishir- einem aus Kaffeeschalen mit Zimt und Ingwer hergestellten Getränk- empfangen und die Männer des Dorfes führten zu unseren Ehren  mit gezogenen Krummdolchen und unter dem Geknatter von Maschinengewehrsalven einen Hochzeitstanz auf. Ein unvergessliches Erlebnis!

Zurück an Bord verabschiedeten wir uns herzlich von unserem neuen Freund Mahmoud und hofften -inschallah- auf ein Wiedersehen. Leider begegneten wir uns in unserem späteren Leben aber nie mehr.

 

Mahmoud - Ein Werdenfelser Gschichterl von Alexander Möbius (Copyright)

Veröffentlichung 15./16.04.23, Garmisch Partenkirchner Tagblatt / Münchner Merkur, Rubrik Region,
Wochenendausgaben als Serie, Print.