In den Jahren nach dem letzten Weltkrieg waren ihr Rat und ihre Meinung von den halt- und orientierungssuchenden Einheimischen häufiger gefragt. Auch wenn man den visionären Worten der Mari keine allzu große Bedeutung beimaß, hoffte man doch irgendetwas Positives aus ihrem Karten schlagen heraushören zu können. Motto: „Ob´s wos nutzt woaß ma it, aber schodn tuats ou nix!“. Die seltsame Frau verstand sich auch auf das, wie sie es nannte, „Magnetisieren“. Dabei strich sie anderen Menschen über das jeweilige schmerzende Körperteil und stöhnte dabei fürchterlich. Sie behauptete, mit dieser Behandlung böse Ströme aus dem Körper des Behandelten ziehen zu können, und es gab tatsächlich eine ganze Reihe, meist älterer Mitbürger, die darauf schworen, die Mari hätte ihnen mit ihrem geheimen Wissen geholfen. Stets hatte die Mari einen sehr großen, prall gefüllten Rucksack auf dem Rücken und der ganze Ort rätselte über dessen Inhalt - es schien nur offensichtlich, dass es nichts Schweres sein konnte. Auf die vielen Fragen – „Wos hoscht na da din?“ verweigerte sie Ihren Mitbürgern –„Dejis geaht enk gor nix o“ - stets die Antwort. Neben den vielen Vermutungen, ob es ihr Bettzeug oder „der Wolljanker vom doaden Voda“ sein könnte, war die wahrscheinlichste Vermutung, dass sie den Rucksack nur trug um zu verhindern, dass sie damit die vielen Lausbuben abwehren wollte, weil diese auf der Straße immer versuchten sie drei Mal auf ihren Buckel zu dupfen. Nach einem alten Aberglauben sollte dies Unglück abwehren. Die Mari hasste das, weil sie sich dadurch „wia a oide Hex“ fühlte.


Wahrscheinlich aber war die „gschpassige“ Mari ein recht einsamer Mensch, hätte sich trotz ihrer geistigen Beschränkung eine Familie gewünscht, vor allem aber einen möglichst leidenschaftlichen Burschen, denn das „gamsert sein“ war ihr so gar nicht fremd und sie vermisste die Berührungen von einem Mann sehr.
Ende April 1945 ging der verfluchte Krieg endlich zu Ende und amerikanische Truppen zogen nahezu kampflos im Werdenfelser Land ein, besetzten diverse Wohnungen und Häuser als Truppenunterkünfte, vor allem für die Offiziersränge. Die Besatzer wurden von den Werdenfelsern zunächst erleichtert begrüßt, vor allem weil sich diese recht freundlich zeigten, z.B. auch gestatteten, dass die Heimatzeitung weiter erscheinen konnte was für die Werdenfelser die einzige Informationsmöglichkeit im Gäu und auch nach außen darstellte. Nach der verhassten Hitlerei hatte man sich auch eine deutliche Verbesserung der Lebensumstände und ein Ende des Hungers versprochen, doch diese blieben zunächst aus. Erst etwa 2 Jahre später trat eine deutliche Erleichterung für die Bevölkerung ein. Die Mari hatte in diesen Zeiten eine sie zufrieden stellende neue Einnahmequelle gefunden! Sie verdingte sich, zur Empörung der einheimischen Frauen - „ hobts deijs ghert- do dat mi ja as Sündn fiachtn“ - gelegentlich als Bettgenossin für die ausgehungerten amerikanischen Soldaten und… nahm Geld dafür. Trotz der vielen Anfeindungen durch die in Garmisch lebenden einheimischen Frauen führte die Mari ihren seit Jahrzehnten gewohnten Tagesablauf völlig unbeeindruckt weiter. Und dazu gehörte ein spätnachmittägliches Bier im Hofbräustüberl Garmisch, wo sie stets am selben Platz direkt an dem schönen, grau-blauen Kachelofen auf ihrem Stammplatz saß. Eines Tages fragte sie einer von den Schafkopfern vom benachbarten Stammtisch: „Mari, wos verlangschd nachad?“. Die Mari antwortete, ohne Scheu oder Scham und vermutlich wahrheitsgetreu: “A Fuchzgaleh!“. Der Stammtischler zuckte, fast schon erschrocken, zurück: „Wos? Bischd narrisch - do koschd scho fümf March verlanga!“. Die Mari überlegte kurz und meinte kühl: „Woaschd - zehn moi a Fuchzgaleh san ou fümf March!“.

 

 

Die Rucksack-Mari - Ein Werdenfelser Gschichterl von Alexander Möbius (Copyright)