Der chinesische Konzern Genting erteilte außerdem Neubau­aufträge für die asiatischen Märkte: zwei Schiffe mit einer Kapazität von je über 9.000 Betten wurden bei der renommierten MV-Werft in Wismar platziert, liquiditätsstarke Unternehmen wie Virgin Voyages und Ritz Carlton erklärten in statements ihre festen Pläne, demnächst in die Boombranche Kreuzfahrten einzu­steigen.


Und dann… kam Corona!

Seit Monaten befinden sich die meisten Schiffe im warm- oder cold-lay–up, nahezu alle Reisen für das Geschäftsjahr 2020 wurden nach und nach abgesagt, die Pläne für einen Neustart in 2021 sind noch vom Prinzip Hoffnung geprägt und sind auch aktuell noch vage. Dem Marktführer Carnival entsteht nach eigenen Angaben durch die Lay-ups eine monatliche Cash-burn-Rate in Höhe von 250 Mio Dollar. Etwa 20 % der gesamten Flotte sollen, so aktuelle Planungen, langfristig außer Dienst gehen. Lediglich der türkische Hafen in Aliaga „boomt“ - dort sind die auf das Abwracken von Kreuzfahrtschiffen spezialisierten Werften. Aktuell ist hier Hochbetrieb und es werden große Kreuzfahrtschiffe abgewrackt, obwohl diese voll funktionstüchtig sind und 2019 finanziell erfolgreich noch in Vollbetrieb waren. Erste Reedereien wie z.B. South Quay Travel & Leisure Ltd. mit ihren bekannten Marken Cruise & Maritime Voyages und Transocean Kreuzfahrten mussten bereits den Weg zum Insolvenzrichter antreten. Traditionelle Kreuzfahrtschiffe wurden zu geradezu lächerlichen Preisen veräußert. Andere Unternehmen überlebten bisher nur durch hohe Staats¬¬kredite bzw. neue, profunde Gesellschafterdarlehen. Der seit rund zwei Jahrzehnten anhaltende Paradigmenwechsel vom traditionellen, kleineren Kreuzfahrtschiff zum standardisierten, „modernen“ Massenprodukt der Megaschiffe mit 4000 und mehr Betten aber scheint durch die Corona-Pandemie gebrochen. Diese Aussage wird durch das umfangreiche, von der amerikanische Behörde CDC, Centers or Disease Control and Prevention angeordnete Regelwerk befeuert. Diese sehen u.a. eine strenge Limitation der Passagierzahl vor, in deren Folge ab sofort nur noch eine maximale Auslastung von 60 % der Schiffe zulässig ist. Da die Megaschiffe bisher mit Vollauslastung kalkuliert und meist auch gebucht waren, könnte dies bei einer ersthaften Gewinnerzielungsabsicht bei identischen Kostenstrukturen nur heißen, dass empfindliche Erhöhungen der Verkaufspreise notwendig werden/würden. Dabei werden durch die vorbeugenden Corona-Maßnahmen sicherlich noch weitere Kostenerhöhungen zu erwarten sein. Erschwerend kommt noch hinzu, dass der wichtigste Ertragsfaktor der Großreedereien, die an Bord während der Reisen generierten Erträge (onboard revenues) erheblich verfallen werden. Gegenstand der von CDC erlassenen Orders sind auch harte Einschnitte in ein unbeschwertes Urlauber-Leben an Bord: tägliche, mehrfache Fieberchecks, eine strenge Maskenpflicht außerhalb der Kabine, notwendige Reduzierungen von Serviceleistungen. Ob die ebenfalls geforderte Abstands¬regelung („min.6 feet“ bzw. 1,8 m) an Bord der Schiffe in die Praxis umgesetzt werden kann scheint zumindest fraglich. Man stelle sich hier nur die Benutzung der Lifte vor…!


Eine Insel mit 2 Schrauben

Landgänge - soweit diese in den Zielländern überhaupt durchgeführt werden können – sind nur im Rahmen vorausgebuchter Landausflüge in Gruppen möglich, individuelle Landgänge sind durch die Corona-Restriktionen in vielen Zielländern vorerst nicht möglich. Viele Häfen, auch deutsche, verweigern den Schiffen das Anlaufen und damit verbundene Ein- und Ausschiffungen. Zum aktuellen Zeitpunkt ist es zudem nicht absehbar wie sich die unterschiedlichen, Lockdown-Restriktionen in den diversen Destinationen weiter entwickeln werden.

Es ist deshalb durchaus vorstellbar, dass die Megaschiffe nur noch einen bzw. zwei Häfen, nämlich den Einschiffungs- und Ausschiffungshafen pro Reise anlaufen werden und dazwischen nichts mehr. Dies würde bedeuten, dass die schwimmende Destination langsam vor sich, im besten Sinne des Wortes, „dahintreibt“ – es ist ja alles an Bord zur Gästeunterhaltung vorhanden. Bestes Beispiel hierfür sind die gigantischen Schiffe der Oasis-Klasse von Royal Caribbean. Eventuell könnte noch eine Privatinsel oder eine Privatbucht der Reederei unter dem Motto „Ein Tag am Strand“ in den Fahrplan integriert werden. So mutiert das moderne Megaschiff dann zu einem vermutlich zukunftsweisenden Konzept einer „Insel mit 2 Schrauben“.

Ein weiteres großes Problem für die Megaschiffe sind die internationalen Quellmärkte, deren man sich bisher zur Absicherung einer hohen/maximalen Auslastung bedient hat bzw. bedienen musste: ein Schiff mit z.B. 4.000 Betten und mehr jede Woche aufs Neue abzuverkaufen und dadurch beispielsweise ca. 20.000 Gäste/Monat/Schiff zu generieren ist eine gewaltige Heraus­forderung. Ob und in welchem Maße auf diese globalen Quellmärkte in 2021 und 2022 noch gezählt werden kann (z.B. Indien, Russland, Fernost, Lateinamerika), scheint zumindest fraglich. Die internationale Gästestruktur dürfte zudem auch eine deutliche Restriktion hinsichtlich der Kaufentscheidung für deutsche Gäste sein. In einer Kernfrage zusammengefast: Wer ist bereit, jetzt, trotz aller von den Kreuzfahrtanbietern getroffenen und beworbenen Maßnahmen, auf einem Kreuzfahrtschiff mit rund 2.000 - 3.000 Gästen unter den gegebenen Umständen und der limitierten räumlichen Situation an Bord eines Megaschiffes seinen Urlaub zu verbringen? Zu möglicherweise deutlich höheren Preisen und den andauernden Corona-Restriktionen?

Die Hoffnung auf einen wirksamen Impfstoff könnte für Linderung der kaufmännischen Probleme für die Megaschiffe sorgen. Allerdings ist hierfür vorauszusetzen, dass die deutsche Bevölkerung hinsichtlich ihrer Impf­bereitschaft umdenkt - momentan sind lediglich ca. 50 % der Deutschen bereit eine Impfung überhaupt in Erwägung zu ziehen, der Rest will hinsichtlich der potentielle Nebenwirkungen „sicherheitshalber noch abwarten“! Diese zurückhaltende Skepsis wird sich im Laufe der Zeit sicherlich reduzieren aber auf die Geschäftsjahre 2021 und wohl auch 2022 nur wenig belebende Effekte haben. Dazu kommt, dass trotz wortreicher aber letztlich inhaltsleerer und auch ständig wechselnder Statements der Politik ein verlässlicher Zeitrahmen für eine „Durchimpfung“ Deutschlands noch immer völlig unklar ist - zuletzt war hier von einer Dauer der notwendigen Doppelimpfung von 7 Monaten die Rede.


Renaissance der traditionellen Kreuzfahrt?

In den letzten Jahren war es hochinteressant die strategischen Schritte der seetouristischen Großkonzerne hinsichtlich der Etablierung zusätzlicher Premium­produktlinien zu verfolgen. So erwarb die Royal Caribbean Corp. die auf Luxusreisen ausgerichtete Reederei Silversea Cruises und beteiligte sich an Hapag Lloyd, NCL ergänzte ihr Megaschiff-Portfolio durch Oceania Cruises und Regent Seven Seas, Carnival integierte die Luxusreederei Seabourn. Durch die Akquisen dieser „kleinen“ Schiffe mit Kapazitäten von durchschnittlich etwa 250 Kabinen, sollen neue Zielgruppen im Hochpreisbereich abseits des Massen­tourismus an Bord der Megaschiffe gewonnen werden. Die im Premiumsegment zu verortenden Reedereien platzierten zudem für den Zeitraum 2016 bis 2026 insgesamt 17 Neubauten mit einer Kapazität von durch­schnittlich ca. 300 Betten. Investorengruppen bauen alte Einheiten wie die in der aktuellen Corona-Krise zu einem Spottpreis erworbene MS BERLIN in komfortable Luxusliner um. Konzeptionell setzt man bei diesen Produktlinien/ Marken auf Individualität, Intimität, eine besonders abwechslungsreiche Routenführung abseits des Massentourismus und hohen Gastkomfort. Und… kehrt damit zu den Produktinhalten, den Strukturen/Zielsetzungen der traditionellen Kreuzfahrt zurück. Seit Jahren erwirtschaften deutsche Veranstalter wie Plantours und Hansa Touristik in diesen von den Megaschiffen überlassenen Marktnischen attraktive Erträge und generieren eine treue Stammkundschaft. Ein Schiff wie die MS Hamburg von Plantours wird sich deshalb vermutlich deutlich schneller aus der Corona-Krise herausnavigieren - nicht nur weil eine konstante Passagierzahl/eine Auslastung von 350 Gästen für ein auskömmliches Ergebnis leichter erreichbar ist, sondern weil seitens der Stammgäste ein großer Vertrauensvorschuss gegenüber dem Veranstalter besteht und insbesondere die außergewöhnliche Routenführung und das bewährt-hohe, individuelle Serviceniveau des Veranstalters Plantours über­zeugt. Bei den anonymen US-basierten Großreedereien ist das Kunden­vertrauen dagegen eher als übersichtlich zu bezeichnen. Auch neue Player im traditionellen Kreuzfahrtsektor scheinen sich auf die neuen Entwicklungen und Nachfragetrends einzurichten: die renommierte griechische Fährreederei Seajet hat soeben in Versteigerungen sechs Kreuzfahrtschiffe günstig erworben. Die außergewöhnlich günstigen Einkaufspreise dieser Schiffs-Hardware könnten sich bei einem Markteintritt für den Endverbraucher in vorteilhaften Verkaufspreisen wiederspiegeln. Es könnte deshalb durchaus sein, dass die Corona-Krise zu einer Renaissance der traditionellen Kreuzfahrt beiträgt.

Reisevertrieb der größte Verlierer?

Die am nachhaltigsten betroffene Wertschöpfungsstufe der aktuellen Krise dürfte der stationäre Reisevertrieb sein, der horrende Einbruch an Umsatzerlösen in 2020, zuletzt waren hier von „bis zu 90%“ die Rede. Die Stornowelle der Monate März bis Juni 2020 konnte durch Umbuchungen kaum aufgefangen werden, stornierte höherwertige Reisen wie z.B. Kreuzfahrten wurden häufig, wenn überhaupt, durch preisgünstigere Buchungen mit eigenen Anreisen z.B. Ferienwohnungen für Deutschlandurlaub ersetzt. Pro­visionszahlungen vieler Reiseveranstalter für stornierte Reisen erfolgten/ erfolgen, wenn überhaupt, nur zögerlich. Dabei ging der deutsche Reisevertrieb ohnehin mit einer eher geschwächten Ertragsbasis in das Geschäftsjahr 2020 - viele Reisebüros hatten bereits durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch von Thomas Cook im November 2019 hohe Provisionseinbußen erlitten. Zuletzt musste man auch das gesamte Weihnachtsgeschäft abschreiben. Durch die auch in den kommenden Wintermonaten 2021 vermutlich vorerst an­haltenden Lockdowns wird sich dies auch für das klassische Wintergeschäft fortsetzen.

Der Todfeind des stationären Reisevertriebs ist jedoch der Online-Vertrieb. Die meisten der großen Veranstalter und Reedereien bauen diesen zügig aus. Dies wird zu dauerhaften Provisionsverlusten auf Reisebüroseite führen. Bereits 2019 wurden lt. DRV-Analyse erstmals mehr Urlaubseisen per Online-Buchung getätigt als im persönlichen Beratungsgespräch! Man wird seitens der Veranstalter zwar nicht müde den Reisebüros eine unverbrüchliche Partnerschaft zu versichern, ist aber wirtschaftlich gezwungen den erheblichen Kostenfaktor „Provisionen an Reisebüros“ zu reduzieren. FTI hat beispielsweise für das Winterhalbjahr auf die bisher üblichen Reiseprospekte in Printform weitgehend bereits verzichtet und die Angebote auf online umgestellt, der die Reisebüros betreuende Außendienst wurde aus Kostengründen gestrichen. Man kann wohl davon ausgehen, dass auch weitere Großveranstalter diesem Beispiel folgen könnten, von Herrn Joussen, dem Vorstandsvorsitzenden der TUI ist hierzu ein passendes Zitat überliefert: „Heute gilt: Online first - das ist ziemlich klar!“ Es ist deshalb kein Wunder, dass Branchenexperten für 2021 mit einer großen Insolvenzwelle im stationären Reisevertrieb rechnen.


Aussichten für einen „Neustart“

So verbleiben aktuell viele offene, nur auf dem Weg der Spekulation beantwortbare Fragen. Sicher scheint, dass sich eine Normalisierung nur langsam einstellen wird und das Hoffen auf einen „Post-Corona-Boom“ eben vor­erst nur eine Hoffnung ist. Mit einer wirtschaftlich attraktiven und nachhaltigen Wiederbelebung der Nachfrage wird man vermutlich bis zur Saison 2023/24 Geduld haben müssen. Bis dahin wird die Industrie zur Reduktion der drückenden Fixkosten zu harten Sparkonzepten, Entlassungen im großen Stil und auch zu weiteren Verschrottungen von Tonnage gezwungen sein. Unklar bleibt vorerst auch die Situation hinsichtlich der unterschiedlichen, internationalen Lockdown-Regelungen in den Destinationen. Die Schiffswerften werden ebenso mit rigiden Einsparmaßnahmen und einer zeitlichen Streckung ihrer Bauaufträge reagieren müssen. Es wird in dieser Zeit für die Groß­reedereien von erheblicher Bedeutung sein für ihre schwimmenden Megacities bei der potentiellen Kundschaft durch glaubhafte und transparente Sicherheitsmaßnahmen Vertrauen aufzubauen und, am Besten in einer konzertierten, wettbewerbsübergreifenden, glaubhaften PR-Kampagne für positive Resonanzen zu sorgen. Es muss den Verbrauchern eindeutig kommuniziert werden, welche außerordentlichen Maßnahmen zum Schutz vor Corona-Infektionen die Reedereien bereits ergriffen haben und noch ergreifen werden. Daraus könnten auch neue Kaufanreize (USPs) z.B. unter dem Motto „Kreuzfahrten - die sicherste Urlaubsform“ generiert werden. MSC setzt hier derzeit durch eine “hochkarätige Corona-Expertengruppe“ und ein neues System zur Schiffsbelüftung mit Frischluft Maßstäbe. Bei Royal Caribbean hingegen findet sich auf der deutschen Website hinsichtlich Corona nahezu keine Verlautbarung - die Pandemie wird scheinbar „weg-getrumpt“...

Die Reiselust der Deutschen wird fraglos bleiben - die Kernfrage wird sein, wie man diese durch geeignete Produktanpassungen, Marketingmaßnahmen und Imagekampagnen optimal und glaubhaft kanalisieren kann. Vermutlich aber werden die Betreiber von kleineren, traditionellen Kreuzfahrtschiffen ab der Sommer-/Herbstsaison 2021 die besseren Chancen für einen Neustart, einen Befreiungsschlag haben als die auf den Massentourismus ausgerichteten Megaschiffe.

 

Über den Autor

Alexander Möbius ist seit rund 40 Jahren in der Kreuzfahrtbranche tätig, davon über 20 Jahre als selbständiger Berater. Seit 10 Jahren ist er Dozent an der Hochschule München, Fakultät Tourismus und verantwortet dort in Bachelor- und Masterstudiengängen die Bereiche Reiseveranstalter Management, Kreuzfahrten Management und Kunstgeschichte.