„Der Max“ war berühmt-berüchtigt für seine häufig nicht funktionierenden Versuche und Lehrexperimente im Unterricht. Einmal demonstrierte der Hüne im Physikunterricht den van der Graaf-Generator und kurbelte mit seiner Urkraft energisch am Gerät, um den Schülern zu demonstrieren wie sich mechanische in elektrische Energie wandelt. Dann erläuterte er ausführlich die physikalischen Vorgänge und Formeln und vergaß dabei die noch nicht entladene Energie in der großen Kugel des Generators. Während der Erläuterungen legte er auf diese Kugel ganz nebenläufig seine Hand… und die Energie entlud sich durch einen satten Stromschlag in seinen Lehrkörper. Dadurch stellten sich die dünnen Haare auf seiner Stirn kurz hoch, die Schüler staunten erschrocken. Max kommentierte donnernd „Scheißdreck!“, richtete, nein, klatschte seine Haare wieder fest und lachte dann mit seinen Schülern herzhaft.

Durch sein Glasauge hatte er Probleme mit dem plastischen Sehen, deshalb war es vor allem in Chemie schwierig, Flüssigkeiten von einem Reagenzglas in ein anderes zu füllen. Die Frage: „Jungs, bin ich drüber?“ war hierbei genauso Standard wie die Antwort der Schüler „Ja, Herr Professor!“. Das anschließende Verschütten der Flüssigkeiten auf das Lehrerpult löste dann wieder den Kommentar „Scheißdreck“ aus.

Bei den Schülern war das Glasauge bestaunt, bei eher zarten Seelen bisweilen gefürchtet. An einem eiskalten Wintermorgen in der ersten Unterrichtsstunde blinzelte der Lehrer auffallend oft mit   seinem linken Auge und nahm das Glasauge  dann „Jungs, ich halts nicht mehr aus“ heraus, hielt es eine empfundene Ewigkeit unter den warm sprudelnden Wasserhahn und  pfropfte es dann zurück in seinen Schädel. In die beängstigend-schaudernde Stille im Klassenzimmer röhrte der Max noch: „Ah, jetzt blick ich wieder durch!“ und fuhr ungerührt mit dem Unterricht fort.

Auch bei mündlichen Befragungen spielte das Glasauge bisweilen eine wichtige Rolle: der Max liebte es, sich hierfür zum Sitzplatz des Schülers zu begeben, seinen mächtigen Oberkörper herunterzubeugen und seine Ellenbogen auf die Schulbank zu stemmen. Dann blickte der Riese den Schüler aus der entstandenen kurzen Distanz fest an und stellte seine Fragen. Erhielt er keine oder eine sehr unbefriedigende Antwort, tickte er wartend mit dem Bleistift, leicht maliziös lächelnd, an sein Glasauge.

 

Gegen Ende des Schuljahres erhielten die Schüler, die zwischen den Noten 4 und 5 standen die Gelegenheit sich durch eine ausgiebige mündliche Prüfung zu verbessern. Einer der Kandidaten erhielt eine Frage zu einem Thema gestellt, auf das er offensichtlich gut vorbereitet war und schwadronierte los. Der Lehrer wollte ihn mehrmals unterbrechen um weitere Fragen zu anderen Themen stellen zu können, doch der Schüler war nicht zu bremsen. Auch des Lehrers „Hör auf, Mann!“ konnte da nichts ausrichten. Erst das: „ Mensch, halt´s Maul - ich geb Dir ja ne Vier!“ beendete den Redefluss des Schülers. Andere Schüler die zu den Fragen dieser besonderen mündlichen Prüfung nichts oder nichts Sinnvolles beitragen konnten, erhielten stattdessen coram publico eine donnernde  Max`sche Standpauke: „Jetzt geb ich Dir schon die Chance und dann weißt Du wieder nichts- so eine Unverschämtheit - dann geh doch zum Steine klopfen oder zum Fliegen zähln in den Wald! Du kriegst von mir eine Bomben-Fünf weil es die Note 7 nicht gibt!“. Nach einer solchen missratenen Feststellungsprüfung ging einmal ein Klassensprecher zu Max, um für einen Mitschüler, der bereits eine 5 in Mathe hatte, Gnade zu erbitten. Der Max grummelte noch ein wenig nach und beschied den Klassensprecher dann: „Ich lass den doch nicht durchfallen! Aber zittern soll er - verrat ihm bloß nichts!“. So war er der Max, ein Mensch, der uns Schülern die Prioritäten des „Mensch-Seins“ lehrte, eine Seele von einem Menschen selbst.

 

Max - Ein Werdenfelser Gschichterl von Alexander Möbius (Copyright)

Veröffentlichung 25./26.03.23, Garmisch Partenkirchner Tagblatt / Münchner Merkur, Rubrik Region,
Wochenendausgaben als Serie, Print.