Ansonsten hatte das bereits in die Jahre gekommene Paar nur noch einige Hühner im Stall, der Rest des ursprünglichen Viehbestandes war schon vor längerer Zeit altersbedingt aufgegeben worden. Im Ort bespottete man die beiden sparsamen Eigenbrötler  aufgrund ihres eigentlichen Wohlstands, und nicht ohne Neid,  gerne als „noadig“. Auch deshalb, weil die Nichte der Resi, die mit ihrer Familie in der Sonnenbergstrasse wohnte, stets das Wasser für den Haushalt  in Eimern aus dem St. Antons­brunnen holte um das „duire“ Wasser aus der längst verfügbaren Wasserleitung  zu sparen.

In einem von Resis Häusern hatten meine  Eltern Räume angemietet um dort ein Geschäft zu betreiben. Eines Tages erschien dort die Resi und bat meine Mutter: „Frau - am Joseph geahts a sou schlecht - schauggs amoi umi“. Meine Mutter folgte ihr in die Wohnstube in dem alten Bauernhaus und war zunächst erstaunt über den dortigen Lebensstandard. Ein kleiner, mit Holz befeuerter Kochherd diente parallel als Wärmequelle , über einer schmalen Sitzbank mit einem kleinen Tisch und zwei Stühlen hing ein Kruzifix und ein Madonnenbild.  Ansonsten fanden sich noch ein Truhe und ein alter unbemalter Schrank in dem niedrigen, düsteren Raum in den fast kein Licht von außen durch die beiden kleinen Fenster zur Ludwigstrasse eindringen konnte. Neben der Kochgelegenheit stand eine große Gusseisenpfanne mit langem Stiel und ein seltsames, meiner Mutter unbekanntes Holzgerät mit einem langen Hebel. In der Ecke kauerte auf einem der Stühle  zusammengesunken  und  dämmrig-stöhnend  Resis Bruder Joseph. Einen größeren Rupfensack auf dem Rücken, einen auf dem Schoß. Meine erstaunte Mutter fragte nach dem Sinn dieser Säcke und wurde von Resi aufgeklärt: „Deijs san Sack mit hoaße Erdäpfe, deij ziachans Weah aussa!“. Meine Mutter bot  an bei dem jammervollen Anblick des Kranken sofort  einen Arzt anzutelefonieren, doch da war die Resi ganz anderer Meinung: „Wos, an Dokta? Deijs brauchts it - dejs ischd a so vui duir und dejs ruits it! A Dokta koschdad  an Haufen Geijld- dejs mirkschd da! Deijs werd scho wieda mitm Joseph- eijs brauchd hoit a bissla dawei!“. Nachdem Resis Hausrezept mit den heißen Kartoffeln keine Wirkung zeigte und es dem Joseph noch schlechter ging, kam die Resi zwei Tage später  wieder zu meiner Mutter und bat sie jetzt doch besser den Arzt zu verständigen. Dieser kam umgehend aus seiner Praxis in der oberen Ludwigstrasse, was die Resi nur mit einigem Unbehagen und Zweifel akzeptierte, da sich die Bewohner der unteren und oberen  Ludwigstrasse nicht unbedingt ins Herz geschlossen hatten : „Der ischd doch vom Obermarkt doam!?“

Der Arzt untersuchte den Kranken, wies den Joseph sofort in das Krankenaus  Partenkirchen in der Münchner Straße ein. Als die Resi zwei Tage später  mit ihrem klapprigen, schwarzen Fahrrad ins Krankenaus radelte und  guter Hoffnung war, ihren zwischenzeitlich wohl gesundeten Bruder wieder mit nach Hause nehmen zu können, eröffnete ihr der dortige Arzt, dass dem  Joseph nicht mehr zu helfen sein wird  und er wohl innerhalb  der nächsten Stunden oder Tage sterben müsste. Die Resi war entsetzt, stürzte ins Krankenzimmer und rief: „Ja Joseph, was duascht denn! Darfschd  doch it starm… wos tua denn i mit dem Ochsen?“.

 

Der Ochse - Ein Werdenfelser Gschichterl von Alexander Möbius (Copyright)

Veröffentlichung 28./29.01.23, Garmisch Partenkirchner Tagblatt / Münchner Merkur, Rubrik Region,
Wochenendausgaben als Serie, Print.