Während heutzutage Bergführer oft hochtechnisch mit Helmen, Gurten, einem großen Karabinersortiment, mit Thermo-Funktionswäsche und modernen Kommunikationsmitteln ausgerüstete Fachschul¬- Sportlehrer sind, waren die damaligen kräftigen, forschen und auch abenteuerlustigen Burschen mit einem zünftigen, von einem Sträußerl Almarausch gekrönten Filzhut, einem Schafwolljanker und einem locker über die Schulter geworfenen, vom einheimischen Seiler in der Ludwigstrasse angefertigten Seil unterwegs. Und statt der modernen Teleskop-Wanderstöcke erfüllte ein langer Haselnussstecken die gleichen Dienste.

Der Guschd war, auch er ein früherer Hirte, einer der erfahrensten Partakurcha Bergführer. Nach dem letzten großen Krieg, schon im reiferen Alter, hatte er sich zunehmend von der Kletterei abgewandt und sich auf kleine Bergwandergruppen von Fremden spezialisiert. Bei den Gästen war der gutgelaunte, humorvolle, unter seinem mächtigen Backenbart scheinbar stets listig-hinterkünftig lächelnde Bergführer ebenso beliebt und respektiert wie bei seinen Kollegen. Grund dafür war seine besonders enge Natur- oder besser gesagt Bergverbundenheit. Er liebte und respektierte „seine“ Berge, aber manchmal fürchtete er sie auch. Kaum ein Gipfel im Wetterstein- und Zugspitzgebirge, den er als Junger nicht selbst bestiegen hätte, „koa Graserl oder Bleamla“ im weiten Reintal, das er nicht kannte. Kein Adlerhorst, der ihm fremd war, sogar in der nahen Schalmeischlucht hatte er einen Nistplatz des Königs der Lüfte entdeckt. Er war von seiner tiefen Naturverbundenheit geprägt und erklärte solche ungewöhnlichen Entdeckungen kurzum mit „dejs hon i daschmeckt“. Die tiefe Naturverbundenheit der Bergführer und Hirten führte dazu, dass einigen von ihnen bisweilen auch die Fähigkeit des Zaubrischen, des Schamanismus, zugetraut wurde, kannten sie doch manches bei Krankheiten hilfreiches „Kreitle“. Den Glauben, dass sie von den Berg¬¬¬geistern während der langen Nächte auf irgendeiner Alm oder auf den Bergen in dieser Kunst unterrichtet wurden, pflegten diese Gebirgler, denen die Natur geradezu heilig war, hingebungsvoll. Natürlich wussten sie von den unheimlichen Begegnungen mit diesen Geistern phantastische Geschichten zu erzählen. Und der Guschd war einer der größten Geschichtenerzähler! Seine Zuhörer konnten durch seine plastische Erzählweise geradezu bild¬haft sehen was er sagte. Dass die Werdenfelser Natur mit ihren Mächten und Berg-dämonen in Guschds Erzählungen eine große Rolle spielte, war eine Selbstverständlichkeit. So malte er bildhaft aus, wie knorrige Bergkobolde mit Wurzelgesichtern ihm in Neumondnächten einmal gezeigt hätten, wie der verliebte Zugspitzgeist wie ein Wolken-manderl über den Jubiläumsgrat singend zu seiner so schönen Alpspitzin hinübertanzte, um ihr den Hof zu machen. Dass manche Hirten aus mitgebrachten Weiberkleidern eine Strohpuppe bastelten, um ihrer Einsamkeit in den Bergen zu entgehen und mit diesen Weibern redeten und lebten, ja sie sogar in ihr Nachtlager mitnahmen. Auch dass diese „Lebensgefährtinnen“ dann im Spätherbst lebendig wurden und in wolkenverhangenen Nächten lautlos verschwanden. Später konnte man sie bisweilen in den Bergwänden stöhnen hören, dass sie so manchen Wettersturz auslösten und auf den Hirten Steine warfen, um sich für das mit viel Geduld Ertragene während der langen Sommernächte zu rächen. Natürlich durften in den Erzählungen gegenüber Fremden der geheimnisvolle “Woibbadinga“ nicht fehlen! Dramatisch schilderte der Guschd “ ..wia i amoi on gfochen han“ und dass dies nur möglich war, weil eine schöne Jungfrau dabei war und er sofort auf den Schwanz des Wesens „ a Bargsoiz gschrdaht hob: „Deijs ischd a schiana Duife gweijst- wia a Hasle mit schwarze Kricklan, lange Zähnd und Fliagl vo am Adler“. Er schilderte liebevoll seine Beobachtungen, wie aus den vielen Gämseneiern die Jungen mit ersten Krickerl schlüpften und dass diese bereits gebogen waren um die brütende Gams nicht zu verletzen. Wie ihm der stets grantige Wederstoa-Geist am Hochblassen geheimnisvoll verraten hatte, wie man den nur dort heimischen, daumengroßen Steinbienen wundheilenden Honig abmelken kann ohne dabei schmerzhaft gestochen zu werden. Zu seiner Hochform lief der Guschd auf, wenn er Fremde über den abenteuerlich anmutenden Stangensteig auf die Knappenhäuser führte! Dort erzählte er direkt vor den alten, unheimlich anmutenden Bergwerkseingängen von den lichtscheuen Untersberger Mandlan , die in den tief in den Berg getriebenen Irrgärten lebten. Nur nachts verließen diese ihre unterirdische Wohnstatt um den Bergtieren bei der Nahrungssuche zu helfen. Völlig lautlos, so erklärte der Guschd, würden die Mandlan nur mit den lustigen, sie umfliegenden Dohlen reden. Kurz vor Sonnenaufgang, wenn der Himmel über dem Werdenfelser Land anfängt sich blaurot zu streifen, würden sie sehnsuchtsvoll ins Tal hinunter schauen und auf einer steinernen Uhr die noch verbleibende Zeit bis zur Fosinocht zählen , wo sie, sich schweigend drehend, für wenige Tage ins Dorf hinunter durften. In einer weiteren seiner Schauergeschichten schilderte er zum Entsetzen der andächtig an seinen Lippen hängenden Damen von einem Leichenfund unterhalb der Partenkirchner Dreitorpitze: „Oamoi da hon i oan gfunna, der ischd scho ganz dafeit gweijst- hoscht it sogn kenna, ischds a Mannde oder a Weiwe- na hann i mei Messer eiagstochn, hobs aussazoachen, hon i gschmeckt, hon i gseijt: deijs war a Junger!“ So schaffte er es regelmäßig die ihm abends beim Bier im Wirtshaus Schatten fasziniert lauschenden Fremden mit seiner Fabulierkunst und seinen geradezu greifbaren Bildern aus seinem Geschichtenkolosseum entweder in ängstliches Erstaunen oder in pures Erschrecken zu versetzen. Seine “liabschte Weis“ aber war die Schilderung der sog. „wilden Jagd“ oder werdenfelserisch der „wuijlden Gjaid“, die in den tobenden Winterstürmen zwischen Weihnachten und Epiphanie durch das Werdenfelser Tal heulten! „Vom Reintal kemmas oa mit am wuilden Sturmgschroa- dejs san die Soibschtmörder und Higrichten, de armen Soilln vo de in de Barg Ogschdürzten, vo de Jungan deij vor ihra Zeit gschtarm san und… vo deij Grattler, de da Deifi auf ewig ummadumm treibt. De doadbornen Kindlan woana und ruafen noch am Lejbn des se it gheijt hom. Und oisamm rumpeln se durch Partnachklamm oa und foiln in am wuiden Sturm an Ort eia“. Natürlich hatte der Guschd das alles selbst gesehen und erlebt! Er berichtete den schaudernd lauschenden Fremden glaubwürdig von den im Dorf bekannten Vorsichtsmaßnahmen, dass in diesen Tagen keine Wäsche aufgehängt werden durfte, da sich die wild durchs Dorf tobenden Geister darin verfangen könnten und man das Übel für das gesamte kommende Jahr nicht mehr aus dem Haus bringen würde. Vom so wichtigen Ausräuchern von Haus und Stall mit einer Pfanne glimmender Baumschwammerl, um das Ungute des vergangenen Jahres hinauszutreiben: „Boi se kemma konnschd de bloß furchten und di ins Haus eisparren und bettn“. Vor allem aber, dass man die „…wuijde Gjaid it sehng derf , sinschd bischd valorn!“ Den Zuhörern war es bereits an dieser Stelle mehr als unheimlich zu Mute und es war mucksmäuschenstill am Tisch. Der Guschd aber legte jetzt erst los, fast flüsternd erzählte er : “Oimoi bin i nachts dausgweijst und han, sou wia mas d`Muader glarnt hot, a Weissmoihl in den Sturm ausgschdraht, damit de Geisder satt wern und se wieda davou machen. Und do sans ma in Hoor eiagfoahrn und i hons, ohne dass is woitt, gsächen und obwoi i glei ins Haus eia bin, hob i glei gmarkt wia ma de Grind oschwuillt, aber glei a sou wia vo am Untersberger Mannle in der Fosennocht. Fümf Täg hon i a so vui Wea ghejt, bis mei Koapf wieder klianer worn ischd. A sou ischd da deijs mit der wuiden Gjaid, dene arma Soilln- dejs ischd , wia de Barg, ohne End!“

 

Der Guschd - Ein Werdenfelser Gschichterl von Alexander Möbius (Copyright)

Veröffentlichung 18./19.02.23 und 25./26.02.23, Garmisch Partenkirchner Tagblatt / Münchner Merkur, Rubrik Region,
Wochenendausgaben als Serie, Print.