Der uramerikanische Schiffseigner ROYAL CARIBBEAN CORPORATION ist der zweitgrößte der Welt und erwirtschaftet mit den 22 Schiffen seiner auf den Massentourismus ausgerichteten Flotte der Marke ROYAL CARIBBEAN CRUISES in 2012 insgesamt ca. 6 Mrd. Dollar Umsatz p.a. weltweit. Die Potentiale der außeramerikanischen Märkte hat man dabei erst vor knapp 15 Jahren ernsthaft ins Auge gefasst, in 2013 werden aber mit den Mega-Schiffen für die europäischen Quellmärkte bereits 107 Abfahrten ab europäischen Häfen angeboten.

Nach einer logistisch meisterhaft organisierten Einschiffung der anstehenden Menschenmassen wird man mit dem Betreten des Schiffes unmittelbar in die „amerikanische Welt“ mit ihren bekannten, oberflächlich-soapigen Verhaltensmustern eingesogen. “So great you are here“, „Thank you soooo much for having chosen Royal Caribbean“ usw. usw. hört man ab sofort ständig. Die aus rund 60 Billiglohnländern, von A wie Aruba bis Z wie Zaire, stammenden rund 1.300 Besatzungsmitglieder sind stramm auf die Philosophie des amerikanischen Hospitality-Ideals gedrillt. Für durchschnittlich ca. 600-700 Euro fixem Monatslohn bei 7 Arbeitstagen die Woche à 11-12 Stunden ist das ewige Lächeln gegenüber dem Touristen Pflicht. US-amerikanisches Servicepersonal gibt es an Bord übrigens nicht.

„Prepared to be wowed…“

freedom of the seas 01Das Schiff wurde erst 2009, damals als größtes Passagierschiff der Welt, in Dienst gestellt und wartet mit einem höchst außergewöhnlichen und
innovativen Angebot an potentiellem Urlaubsvergnügen auf! So wie der Werbeslogan der Reederei „Prepared to be wowed“ es verspricht.
Einer Eisfläche/einem kleinen Eisstadion im Bauch des Schiffes, der Möglichkeit auf einer sich über mehrere Decks erstreckenden, künstlichen Wellenströmung zu surfen, den Klettergarten am Schlot des gigantischen Schiffes auf verschiedenen Routen zu erklimmen, in 60 Metern über dem Meer scheinbar frei schwebenden Whirlpool-Gondeln zu entspannen, im Boxring (in Originalgröße) des riesigen Fitnesscenters den Faustkampf zu üben und vieles mehr - alles „absolutely no problem“- die LIBERTY ist so frei und lässt bitten!
Eventuell mitreisende Kinder können die gestresst- urlaubswilligen Eltern entweder in einem mit bunten Farben fröhlich gestalteten Poolbereich oder in einer der Videospielhallen beim ohrenbetäubend laut tobenden und wild blinkenden Kampf gegen das Böse in der Welt oder der Vernichtung von Aliens entsorgen. Über allen drei Pools der über 2.000 qm großen Badelandschaft auf dem Sonnendeck breitet sich pausenlos ein lauter Schallteppich aus trashig- geistloser Musik und/oder stupid- monotonen Beats aus. Die aus über 30 Nationen stammenden Mitreisenden können, sollten ihnen die Regeln des amerikanischen Baseballspiels vertraut sein, sich parallel an den Hits und Runs der Live- Übertragungen auf der riesigen LED- Projektionsfläche am Pool ergötzen.

Die komfortablen rund 1.850 Kabinen der LIBERTY entsprechen in vielen Aspekten der aktuellen Nachfrage. Dies gilt insbesondere für die fast 850 geräumigen Außenkabinen und Suiten mit Privatbalkon. Etwa ein Viertel der Innenkabinen sind vom Schiffsarchitekten raffiniert auf die sich über die Höhe von 3 Decks gestaltete Innenpromenade ausgerichtet und erhalten so zumindest den Charakter „eines Fensters zur Außenwelt“.
Die LIBERTY OF THE SEAS ist ein Prototyp des modernen Kreuzfahrtproduktes amerikanischer Prägung und nur ein Schritt einer höchst konsequenten, langfristigen Expansionsstrategie der Reederei ROYAL CARIBBEAN. Nur durch diese seetouristischen Produkte der US-amerikanischen Großanbieter ROYAL CARIBBEAN und des Marktführers, der CARNIVAL-Gruppe, ist der ungebrochene Boom des weltweiten Kreuzfahrtenmarktes erklärbar. Waren Kreuzfahrten früher durch den Charakter von erholsamen Studien- oder Rundreisen, individuellem Erleben fremder Länder und Kulturen und mit einem guten Schuss Seefahrerromantik geprägt, ist inzwischen das Transportmittel Schiff selbst in den letzten Jahren mehr und mehr zur Destination geworden. Aus „Gästen“ der Massentourist. Auf die aus 3 Schiffen bestehende Schiffsklasse der sog. FREEDOM-Klasse, zu der die LIBERTY OF The SEAS zählt, folgten in den letzten Jahren weitere Neubauten mit einer Kapazität von je 6.500 Betten. Kürzlich wurde die neue, ab 2015 in Dienst gehende QUANTUM-Klasse dem staunenden Publikum präsentiert.

Globale Strategiemuster

kreuzfahrten 04Dabei folgt die Reederei einem konstanten strategischen Muster: die jeweiligen Neubauten werden mit erheblichem PR- und Marketingaufwand zunächst im Kernquellmarkt USA positioniert. Dabei stehen die jeweils für die neue Baureihe kreierten, höchstinnovativen und medienwirksamen USPs im Vordergrund: bei der VOYAGER -Klasse war dies beispielsweise eine Eisfläche/ ein kleines Eisstadion im Bauch der Schiffe, bei der nachfolgenden FREEDOM - Klasse eine künstliche Surfwelle an Bord und eine Kletterwand am Schlot des Schiffes. Die OASIS-Klasse verfügt über einen „Central Park“ und statt Innenkabinen wurden Kabinen mit Meerblick und erstmals Kabinen mit „Parkblick“ als neue Attraktion promotet. Der Platzierung der jeweiligen Neubaureihen in die US-Märkte geht mit einer ca. zweijährigen Vorlauffrist eine Marketingkampagne zur Neupositionierung der vorhergehenden Baureihe in andere Quellmärkte, insbesondere der europäischen, voraus. Diese Neupositionierung in die Sekundärmärkte erfolgt wenn die Schiffe im Durchschnitt etwa fünf Jahre alt sind und dem amerikanisch geprägten Streben nach der „ultimate sensation“ nicht mehr entsprechen. So wurde die LIBERTY OF THE SEAS, Indienststellung 2008, ab 2013 für die gesamte Sommersaison in die europäischen Märkte verlagert, um für die nachfolgende Generation der OASIS-Klasse die notwendigen Vermarktungsspielräume auch in den non-amerikanischen Märkten zu schaffen.

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Aktuell bereitet die Reederei die Marktpositionierung der neuen QUANTUM- Klasse in die US-Märkte ab 2015 vor. Konsequenterweise wird deshalb die OASIS-Klasse in den europäischen Quellmärkten bereits für einige Abreisen in 2014 zur Markteinführung beworben und soll ab 2015 schwerpunktmässig in diese Märkte verlagert werden um den Quellmarkt USA für die neue QUANTUM-Klasse „frei zu machen“. Parallel hierzu wurde bereits jetzt die PR-Kampagne für diese Schiffsklasse gestartet: als „ultimate sensation“ wird es auf diesen Schiffen einen Kranausleger mit einer Glaskuppel geben, in der der Tourist aus rund 70 Metern Höhe einen Blick auf Meer und Schiff aus der Vogelperspektive genießen können soll. Außerdem wird der Strategie, die Schiffe mehr und mehr als Destination zu gestalten, konsequent Rechnung getragen: mit Autoscootern und einer Windkanalanlage, die den Gästen sogar ein Flugerlebnis erlaubt, wird die neue Schiffsklasse die finale Mutation vom einstigen Charakter einer Kreuzfahrt als Bildungs-und Erlebnisreise in fremde Länder zur permanenten Kirmes auf See vollziehen. Passagieren, die eine Innenkabine gebucht haben, wird die Außenwelt in Echtzeit auf Flachbildschirmen eingespielt.
Folgt man den bisherigen strategischen, globalen Moves der Reederei, kann also davon ausgegangen werden, dass man ab ca. 2020/21 die QUANTUM-Klasse ebenfalls im Mittelmeer erwarten kann. Noch ältere Schiffstypen, wie die zwischen 1996 und 1998 gebaute VISION-Klasse, werden bis dahin vermutlich in außereuropäische/neue Quellmärkte wie China und Indien positioniert. Oder als Second hand-Tonnage unter geändertem Namen bei den bereits vor Jahren akquirierten europäischen Reedereimarken mit nationalem Touch wie z.B. PULMANTUR (Spanien), CDF CROISERIE DES FRANCES (Frankreich) oder TUI CRUISES (Deutschland, Joint Venture mit 50% Beteiligung) platziert werden. Dass man für diese älteren Einheiten auch den russischen Quellmarkt bereits fest im Blick hat zeigt, dass ROYAL CARIBBEAN kürzlich begonnen hat, die russischen Schwarzmeerhäfen in Sevastopol, Sotschi und Yalta auszubauen bzw. für ihre Megaschiffe auszurichten. Auch der Aufbau eines Vertriebssystems in den russischen Märkten hat unlängst begonnen und dokumentiert sich bereits in einer bemerkenswerten Zahl russischer Mitreisender auf der LIBERTY OF THE SEAS.

Standardisierungen zur Ertragsoptimierung

Das strategische Produktkonzept basiert auf einer weitestgehenden Standardisierung von Reiserouten und Serviceleistungen, ebenso in einer Vereinheitlichung der einzelnen Schiffe hinsichtlich Ausstattung, Design und Aufenthaltsräumen. An Bord der LIBERTY OF THE SEAS wird dadurch eine Diskrepanz zwischen den wortreichen, amerikanischen Superlativen der Werbung wie „a once in a lifetime culinary experience“, „best personalized service at sea“ oder „discover the royal experience“ und dem tatsächlich Gebotenen allerdings unübersehbar.
Die zweite Säule der Ertragsoptimierung ist eine aggressive Yield- und Preisstrategie! Dank der günstigen Stückkosten/Tourist ( die economy of scales lässt grüßen…) werden besonders zur Auslastungssteuerung niedrige Abverkaufspreise angeboten und vermitteln dem Konsumenten auf den ersten Blick den Eindruck einer besonders günstigen Pauschalreise. Erst an Bord der schwimmenden Jahrmärkte relativiert sich diese Vermutung zügig. Durch hohe Preise, z.B. für Getränke (z.B. Büchse Bier USD 6,95), Inanspruchnahme angebotener Dienstleistungen oder Landausflüge (z.B. Rom, ganztags USD 347, Florenz ganztags USD 365) summiert sich das Urlaubskostenbudget schnell und erheblich. Zusätzlich wird ständig versucht den Touristen durch weitere vermeintliche Attraktionen wie einer Kunstauktion (die mit dem Slogan „From Peter Pan to Picasso“ durchaus das Prädikat „höchst seltsam“ verdient), „special sales- offers“ in den großen Shopping- Promenaden zur Geldausgabe zu motivieren. Auch durch die häufigen (und nervigen) Aufforderungen, doch unbedingt an den angeblich hohe Gewinne versprechenden „Bingo-times“ teilzunehmen oder sich von den allgegenwärtigen und lästigen Bordfotografen/- paparazzi ablichten zu lassen. Man geht in der Branche davon aus, dass durch diese Taktik durchschnittlich EUR 60 pro Passagier und Tag erzielt werden. Für eine 7-tägige Reise an Bord eines Schiffes in der Größenordnung der LIBERTY summieren sich diese zusätzlichen Einnahmen zu Gunsten der Reederei auf knapp 2 Millionen Euro. Pro 7-tägiger Reise. Für den einzelnen Touristen entsteht dadurch ein durchschnittlicher, tatsächlicher Reisepreis in Höhe von ca. Eur 200 - 250 pro Tag.

Die Bedeutung dieser sog. „Onboard Revenues“ für die amerikanischen Reedereien mag man auch aus der Bilanz des Weltmarktführers CARNIVAL, des Mutterkonzerns von u.a. AIDA und COSTA, erkennen. Seit 2004 deckt der Verkauf der Passagetickets nicht mehr die operativen Betriebskosten und dennoch werden gigantische, in der Tourismusindustrie beispiellos hohe Gewinne und Renditen (in 2011 USD 1,9 Milliarden bzw. 12,1%) erzielt. Ein weiterer „angenehmer“ pekuniärer Nebeneffekt für die Reedereien ist, dass diese zusätzlichen, an Bord der Schiffe erzielten Umsätze gegenüber den vermittelnden Reisebüros nicht verprovisioniert werden.
Die nachhaltig-langfristige Strategie der Mega-Reedereien, das Schiff selbst zur Destination zu entwickeln, hat betriebswirtschaftlich- unternehmerisch gesehen, also bestens fundierte Gründe.
Die Marktpotentiale gelten zumindest für die europäischen, aber auch für die neuen im Fokus stehenden asiatischen Märkte bei weitem als noch nicht ausgeschöpft. Interessant wird sein zu beobachten, ob mit diesen bisher eindeutig auf die amerikanische Zielgruppe ausgerichteten und beispielsweise auf der LIBERTY OF THE SEAS realisierten Produktkonzepten in den europäischen Märkten auf Dauer auch Wiederholungskunden gewonnen werden können.
Auf Reedereien/Anbieter mit Kapazitäten von 500-700 Betten aber kommen düstere Zeiten zu. Die meist älteren Einheiten können, trotz ihrer langjährigen Marktpräsenz, aufgrund ihrer Kabinen- und Ausstattungsstruktur nicht/kaum mehr in das Premiumsegment upgegraded/positioniert werden, andererseits auch nicht mit den preislich günstigeren Angeboten der Massenanbieter mithalten. Der einzige Ausweg für die noch um das Überleben kämpfenden Anbieter im traditionell geprägten Marktsegment einem „market shake-out“ zu entgehen, ist deshalb vermutlich die Konzentration auf noch immer bestehende Nischenmärkte und der Mut und die Bereitschaft zu einer kreativen, zielgruppenaffinen Innovation der aktuellen Produktstruktur.
Und was wurde aus der „Freiheit der Meere“? Früher hat man mit dem Begriff „Meer“ eine Sehnsuchtsmetapher verbunden mit Unendlichkeit und Freiheit, vielleicht sogar als einen Ort der Selbstfindung verstanden.

Heute? Steht das „Mehr“ im Mittelpunkt.
Zu Preisen die gesalzener sind als das Meer selbst!